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Die Thematik der sogenannten „überzähligen“ Versuchstiere beschäftigt wissenschaftliche Einrichtungen und Genehmigungsbehörden nach wie vor.
Gemäß § 1 S. 2 TierSchG dürfen nach deutschem Recht keinem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zugefügt werden. Dies bezieht auch die Tötung von Versuchstieren mit ein. Fehlt ein vernünftiger Grund im Rahmen der Tötung eines Tieres, kann dies auch strafrechtliche Konsequenzen gemäß § 17 Nr. 1 TierSchG nach sich ziehen. Im Rahmen der Zucht von genetisch veränderten Tierlinien fallen regelmäßig Tiere an, die aufgrund eines unerwünschten Genotyps nicht für Versuche verwendet werden können und daher oft als sogenannte „überzählige“ Versuchstiere getötet werden.
Der Nationale Ausschuss hat sich mit der Thematik der so genannten „überzähligen“ Versuchstiere und der Frage nach dem „vernünftigen Grund“ zur Tötung dieser Tiere 2022 erneut intensiv auseinandergesetzt.
Das EU Referenzlabor für Alternativen zum Tierversuch (EU Reference Laboratory for alternatives to animal testing, EURL ECVAM) hat 2020 eine Externer Link:Empfehlung zu nicht-tierbasierten Antikörpern herausgegeben. Eine wesentliche Aussage dieser Empfehlung ist, dass Tiere nicht mehr länger für die Entwicklung und Produktion von Antikörpern für die Forschung sowie für regulatorische, diagnostische und therapeutische Anwendung verwendet werden sollen. Außerdem sollen Genehmigungsbehörden Tierversuche zu den genannten Zwecken nicht genehmigen, wenn eine profunde wissenschaftliche Rechtfertigung fehlt. Diese allgemeine Aussage wurde von Seiten der wissenschaftlichen Gemeinschaft, aber auch der pharmazeutischen Industrie heftig kritisiert. Diese begründen die Notwendigkeit eines weiteren Einsatzes von tierbasierten Antikörpern unter anderem damit, dass die neuen Technologien mittels Phagendisplay Tierversuche für die Entwicklung und Produktion von Antikörpern noch nicht für alle Anwendungsbereichen ablösen können und die biomedizinische Forschung durch ein komplettes Verbot von tierbasierten Antikörpern stark eingeschränkt würde.
Bei Treffen der europäischen Nationalen Ausschüsse wurde deutlich, dass die EURL ECVAM Empfehlung nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen EU Mitgliedstaaten kritisch gesehen wird.
Der deutsche Nationale Ausschuss hat sich daher von 2022-2023 an einer europäischen Arbeitsgruppe der Nationalen Ausschüsse beteiligt, die sich mit dem Thema tierbasierte Antikörper differenzierter befasst hat. An der Arbeitsgruppe waren zudem verschiedene nationale und internationale Expertinnen und Experten auf dem Gebiet der Herstellung und Verwendung von Antikörpern vertreten. Das Ziel dieser Arbeitsgruppe war es, ein gemeinsames Papier zum Einsatz (nicht) tierbasierter Antikörper zu erarbeiten, das bei den Nationalen Ausschüssen der EU eine breite Unterstützung findet. Im Dezember 2023 wurde das Opinion Paper fertiggestellt und ist Download:hier[AUTO-DE] Opinion Paper of European National Committees on non-animal derived antibodies (PDF, 222 B, nicht barrierefrei) einsehbar.
Mit folgenden Themen hat sich der Nationale Ausschuss in den vergangenen Jahren intensiv auseinandergesetzt:
Bei der Zucht von genetisch veränderten Labornagern werden viele Tiere geboren, die z. B. aufgrund des falschen Genotyps oder Geschlechts nicht in den Versuchen eingesetzt werden können. Gemäß Tierschutzgesetz dürfen diese Tiere nur mit einem vernünftigen Grund getötet werden. Eine mögliche sinnvolle Verwendung könnte die Verfütterung der zuvor getöteten Nagetiere (v. a. Mäuse) an andere Tiere wie z. B. Greifvögel und Schlangen in Zooeinrichtungen darstellen. Voraussetzung hierfür ist, dass alle Maßnahmen ergriffen wurden, um die Zahl der sogenannten überzähligen Tiere zu verringern (siehe auch Chmielewska et al.kurz füret alii (lat. "und andere") in NuR 37: 677 unter dem folgenden Link: Externer Link:https://link.springer.com/article/10.1007/s10357-015-2903-9. Die Verfütterung von Versuchstieren an andere Tiere berührt verschiedene Rechtsbereiche.
Ziel: Die rechtliche Einschätzung des Sachverhalts soll die betreffenden Rechtsbereiche und die damit verbundenen rechtlichen Probleme darlegen.
Ergebnis: Die Stellungnahme ist unter den Empfehlungen des Nationalen Ausschusses TierSchG Download:hierVerwendung von genetisch veränderten Versuchstieren zu Futterzwecken (PDF, 58 B, nicht barrierefrei) abrufbar.
Mit der Novellierung des Tierschutzgesetzes (Externer Link:TierSchG; BGBl. I S. 1308 vom 4.7.2013) ist die Zucht von genetisch veränderten Tieren ein genehmigungspflichtiger Tierversuch, wenn zu erwarten ist, dass bei den Nachkommen aufgrund der genetischen Veränderung Schmerzen, Leiden oder Schäden auftreten können (Externer Link:§ 7 Abs. 2 in Verbindung mit Externer Link:§ 7a Abs. 5 TierSchG). Gemäß Externer Link:§ 14 Nr. 1 der Tierschutz-Versuchstierverordnung (TierSchVersV) sind diese Vorschriften auch auf die Larven von Wirbeltieren anwendbar, sobald diese in der Lage sind, selbständig Nahrung aufzunehmen. Dies hat zur Folge, dass nun auch genetisch veränderte Fischlinien einer Belastungsbeurteilung unterzogen werden müssen. Zu dieser Problematik fand im Juni 2015 ein BfRkurz fürBundesinstitut für Risikobewertung-Workshop mit Expertinnen und Experten und Vertretungen der Genehmigungsbehörden statt.
Ziel des Workshops: Festlegung der Kriterien zur Belastungsbeurteilung bei der Zucht genetisch veränderter Fische und die Erarbeitung von Formularen für die Belastungsbeurteilung sowie für die Abschlussbeurteilung. Bundesweite Anwendung der erarbeiteten Belastungsbewertung für die Zucht genetisch veränderter Fische.
Ergebnis: Die Formulare zur Belastungsbeurteilung genetisch veränderter Knochenfische einschließlich allgemeiner Hinweise sind unter der Unterseite „Empfehlungen des Nationalen Ausschusses TierSchG“ abrufbar. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse wurde 2016 von Bert et al.kurz füret alii (lat. "und andere") in EMBO J 35(11):1151-4 veröffentlicht (Externer Link:Link zur Publikation). Die Ergebnisse dieser Arbeit sind auch bei der Überarbeitung des Arbeitspapiers der EU Kommission zu genetisch veränderten Tieren, welches hier in verschiedenen Sprachen abrufbar ist.
Seit 2013 fällt die Zucht genetisch veränderter Tiere unter die Genehmigungspflicht, wenn dabei Tiere geboren werden, die aufgrund der genetischen Veränderung Schmerzen, Leiden oder Schäden erfahren können (Externer Link:§ 7 Abs. 2 TierSchG i. V. m. Externer Link:§ 7a Abs. 5 TierSchG). Im Zuge der Gesetzesänderung und der daraus resultierenden Pflicht, anzugeben, wie viele Tiere für die Zucht benötigt werden, ist die große Anzahl an überzähligen Tieren ersichtlich geworden. Für das Töten dieser überzähligen Tiere bedarf es laut TierSchG eines vernünftigen Grundes. Der Gesetzgeber lässt allerdings offen, was unter dem vernünftigen Grund zu verstehen ist.
Ziel: Erstellung eines juristischen Gutachtens zur Klärung unter welchen Voraussetzungen ein vernünftiger Grund zum Töten überzähliger Tiere vorliegen kann.
Ergebnis: Eine Zusammenfassung des juristischen Gutachtens wurde 2015 von Chmielewska et al.kurz füret alii (lat. "und andere") in NuR 37: 677 veröffentlicht (Externer Link:Link zur Publikation).
Link zur Publikation: Externer Link:https://link.springer.com/article/10.1007/s10357-015-2903-9
Nach dem Erlass der Tierschutz-Versuchstierverordnung sind einige Unklarheiten bei Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern bezüglich der Befugnis zur Durchführung der Betäubung von Versuchstieren entstanden. Auch die Zulässigkeit des Erwerbs notwendiger Kenntnisse und Fähigkeiten zur Betäubung von Versuchstieren erst nach Abschluss der Ausbildung musste geklärt werden. Einige Berufsgruppen, die diese Aufgabe nach der bisherigen Rechtslage zumindest unter Aufsicht ausführen durften, wären nunmehr von der Durchführung der Betäubung ausgeschlossen, was zu Rechtsunsicherheiten führte.
Ziel: Erstellen eines juristischen Gutachtens
Ergebnis: Eine Zusammenfassung des juristischen Gutachtens wurde 2017 von Chmielewska et al.kurz füret alii (lat. "und andere") in NuR 39: 538 veröffentlicht.
Link zur Publikation: Externer Link:https://link.springer.com/content/pdf/10.1007%2Fs10357-017-3212-2.pdf
Gem. § 7 Abs.kurz fürAbsatz 2 Nr. 2 Tierschutzgesetz kann auch das Züchten von Tieren den Tatbestand eines Tierversuches erfüllen, wenn die Nachkommen Schmerzen, Leiden oder Schäden erfahren können. In diesem Zusammenhang stellte sich die Frage nach der rechtlichen Einstufung der Zucht immundefizienter Tiere. In der Praxis ist es nach wie vor umstritten, ob diese unter den Begriff des Tierversuchs i. S. d. Tierschutzgesetzes fällt.
Auch im Falle der zur Genotypisierung durchgeführten Eingriffe an Tieren (insb. der sog. Schwanzspitzenbiopsie) bestehen Unsicherheiten bezüglich der rechtlichen Einstufung nach dem Tierschutzgesetz.
Ziel: Erstellen eines juristischen Gutachtens zur Klärung der o.g. Probleme.
Ergebnis: Eine Zusammenfassung des juristischen Gutachtens wurde 2017 von Chmielewska et. al. in NuR 39: 385 veröffentlicht.
Link zur Publikation: Externer Link:https://link.springer.com/content/pdf/10.1007%2Fs10357-017-3190-4.pdf
Die Verwendung pharmakologisch wirksamer Substanzen bei Versuchstieren berührt mehrere Rechtsbereiche, insbesondere das Tierversuchsrecht und das Arzneimittelrecht. Speziell beim Einsatz von Tamoxifen zur konditionellen Genausschaltung werden verschiedene rechtliche Fragen aufgeworfen, unter anderem inwieweit die Vorschriften des Arzneimittelrechts zutreffend sind.
Ziel: Die rechtliche Einordnung soll die im Tierversuchsrecht in diesem Kontext auftretenden Probleme aufzeigen und praxistaugliche Lösungsansätze vorschlagen.
Ergebnis: Eine Zusammenfassung des juristischen Gutachtens wurde 2019 von Chmielewska et. al. in NuR 41: 26 veröffentlicht.
Link zur Publikation: Externer Link:https://link.springer.com/content/pdf/10.1007/s10357-018-3457-4.pdf
Der Nationale hat im Oktober 2019 am BfRkurz fürBundesinstitut für Risikobewertung einen internen Workshop mit Vertreterinnen und Vertretern der Natur- und Rechtswissenschaft, der Ethik sowie der Genehmigungsbehörden von Tierversuchen durchgeführt, um die Darlegung der ethischen Vertretbarkeit in Tierversuchsanträgen zu reflektieren. Der Bedarf einer Konkretisierung sowohl des Inhaltes als auch des Verfahrens der Prüfung der ethischen Vertretbarkeit wurde in Anfragen an den Nationalen Ausschuss geäußert. Auf dem Workshop wurden der derzeitige Stand und die Probleme bei der praktischen Umsetzung der Vorgaben des Tierschutzgesetzes sowie Ansatzpunkte für eine Verbesserung diskutiert.
In Deutschland ist es die Aufgabe der Antragstellenden, im Antrag auf Genehmigung eines Tierversuchsvorhabens wissenschaftlich begründet darzulegen, dass die zu erwartenden Schmerzen, Leiden und Schäden der Tiere im Hinblick auf den Versuchszweck ethisch vertretbar sind. Diese Vorgehensweise entspricht der in der Richtlinie 2010/63/EU geforderten Schaden-Nutzen-Analyse. Jedoch enthalten die deutschen Rechtsvorschriften keine abschließenden Hinweise, wie diese Darlegung inhaltlich aufgebaut sein muss. Das Arbeitspapier zur Projektbeurteilung und zur rückblickenden Bewertung (Brüssel, 18./19. September 2013 der EU-Kommission, Externer Link:hier abrufbar) gibt Empfehlungen, die aber bisher noch nicht zu einer zufriedenstellenden Umsetzung in die Praxis geführt haben. Die Prüfung der ethischen Vertretbarkeit bzw. die Schaden-Nutzen-Analyse von Tierversuchsvorhaben erfolgt daher bislang noch nicht nach ausreichenden wissenschaftlichen Kriterien, so dass der Anspruch des Gesetzes und die Wirklichkeit der Antragstellung in Deutschland, aber auch innerhalb der EU, womöglich auseinanderklaffen könnten.
Um Inhalt und Verfahren der Prüfung der ethischen Vertretbarkeit zu diskutieren, hat der Nationale Ausschuss im Oktober 2019 einen eintägigen, internen Workshop zum Thema „Prüfung und Darlegung der ethischen Vertretbarkeit in Tierversuchsanträgen“ einberufen. Ziel des Workshops war es, verschiedenen Stakeholdern, hier Antragstellenden, Genehmigungsbehörden, Juristinnen und Juristen und Ethikerinnen und Ethikern, die Möglichkeit zu geben, ihre Sichtweisen zu diesem Problem darzustellen und gemeinsam zu beraten, welche Möglichkeiten der „Operationalisierung“ der Prüfung der ethischen Vertretbarkeit gesehen werden.
Der Workshop zeigte, dass die aktuelle Situation von allen Beteiligten als unbefriedigend empfunden wird und eine Verbesserung der Vorgehensweise als notwendig erachtet wird. Die Teilnehmenden kamen überein, dass ein möglichst einheitliches Verfahren sowohl für die Antragsstellenden als auch die Genehmigungsbehörden mit klaren Definitionen und Strukturen ohne bürokratischen Mehraufwand im Vordergrund der weiteren Entwicklung stehen sollte. Dabei ist eine von Kriterien geleitete, argumentative Beurteilung der ethischen Vertretbarkeit in den Anträgen unerlässlich, um den wissenschaftlichen Standards in der Ethik gerecht zu werden. Ein möglicher Lösungsansatz wäre, im Rahmen eines am BfRkurz fürBundesinstitut für Risikobewertung angesiedelten Kooperationsprojektes einen Leitfaden zur Darlegung der ethischen Vertretbarkeit zu erarbeiten und diesen in einem Modellversuch unter Beteiligung der unterschiedlichen Stakeholder zu erproben bzw. weiter zu entwickeln.